Auszeit im Alltag – eine Zeit zur Reifung
Mit einer Mitschwester lebe ich seit der Karwoche dieses Jahres 2024 im Haus Lebensspur (ein Auszeithaus für Frauen), welches sich angrenzend an unser Kloster in Ellwangen befindet. Wir bieten Auszeitwochenenden und Auszeitwochen für Frauen an, die sich Zeit für sich und für Gott nehmen und gönnen. Einfach einmal Aussteigen aus dem Alltag und das tun, was einem gut tut: Kraft schöpfen, Freude erfahren, Natur erleben, Glauben vertiefen. So wie jetzt die Früchte im Sommer hinein in den Herbst reifen, so sind auch wir eingeladen jeden Tag zu wachsen und zu reifen. Darauf müssen wir uns aber auch einlassen.
Dies bringt für mich folgende Geschichte zum Ausdruck:
Ein Einsiedler lebte allein auf einem Berg ...
in einer Hütte. Menschen, die Hilfe suchten, besuchten ihn dort hin und wieder. Auch ein junger Mann pflegte ihn dort aufzusuchen. „Was lernst du?“ fragte der Alte ihn. „Ich lerne, das Große groß und das Kleine klein zu sehen“, antwortete der Besucher. „So lerne weiter“, entließ ihn der Einsiedler. Im Jahr darauf kam der junge Mann wieder. Und wiederum wurde er gefragt: „Was lernst du?“ „Ich lerne, dass das Große klein und das Kleine groß sein kann.“ „So lerne weiter,“ entließ ihn der alte Mann.
Auch im Jahr darauf fand sich der junge Mann wieder in der Hütte ein. Auf die Frage des Einsiedlers antwortete er: „Ich habe gelernt, dass es nichts Geringes gibt.“ „Das ist sehr gut“, erhielt er zur Antwort, „so lerne weiter.“
Danach kam der Mann viele Jahre nicht mehr zur Hütte am Berg. Doch der alte Mann sorgte sich nicht um ihn. Als dieser viele Jahre später wieder den Einsiedler besuchte, sah ihn jener lächelnd an und der Besucher sprach zu ihm: „In den vielen Jahren meines Suchens und Fragens habe ich gelernt, auf allen Dingen und in allem den Abglanz Gottes zu sehen.“ Da umarmte ihn sein Lehrer und segnete ihn. Auf die gleiche Frage, kann es im Laufe des Lebens unterschiedliche Antworten geben. Wir lernen aufgrund unserer Erfahrungen bis zum letzten Atemzug – hoffentlich! Wichtig ist aber, immer wieder inne zu halten und einen Weg nach innen zu mir selbst und zu Gott zu gehen. Eine Auszeit aus dem Alltag lädt mich ein, innezuhalten und achtsam zu leben.
Wer innehält, erhält innen Halt! Damit jedoch Frucht auch wirklich wachsen und reifen kann, braucht sie Erde, Sonne, Wasser, Luft... Gönnen wir uns das auch zwischendurch!
Schwester Veronika Mätzler
Anna-Schwestern, Franziskanerinnen von Ellwangen
www.anna-schwestern.de/haus-lebensspur.html