Geistlicher Impuls zum Kolpinggedenktag
Traditionen sind wichtig und wertvoll, auch und besonders bei Kolping. Doch man sollte sie von Zeit zu Zeit hinterfragen und sich ihre Bedeutung bewusst machen. Dann können sie auch an folgende Generationen weitergegeben werden und ihnen in Zukunft Kraft geben. Nachdem man in Corona-Zeiten auch Zeit zum Lesen und Nachdenken hat, ist dieser Beitrag hierfür bestens geeignet.
Die angebundene Katze
Der Abt eines Klosters hielt mit den Mönchen und Novizen täglich eine Abendandacht. Eines Tages lief die Klosterkatze in die Kapelle und störte. Darauf ordnete der Abt an, dass die Katze um diese Zeit draußen angebunden werden solle. So machte man es und man konnte ungestört Andacht halten.
Die Zeit verging. Der Abt starb. Sein Nachfolger hielt sich streng an die Tradition, dass während der Abendandacht eine Katze angebunden sein muss.
Die Zeit verging weiter. Auch die Katze starb. Es wurde eine neue Katze angeschafft, um sie während der Abendandacht draußen anbinden zu können. Die einfachen Leute konnten das nicht verstehen und lachten sogar.
Daraufhin traten Theologen auf den Plan und schrieben ein zweibändiges Werk mit so vielen Fußnoten, dass sie immer ein oder zwei Drittel der Seite umfassten. Das Werk trug den Titel: Die Heilsnotwendigkeit einer während der Abendandacht angebundenen Katze, unter besonderer Berücksichtigung der modernen Naturwissenschaften“.
Allmählich kam aber die Abendandacht selbst aus der Übung, denn das Kloster hatte keinen Nachwuchs mehr und wurde in ein Hotel umgewandelt. Doch mit der allergrößten Treue wurde weiterhin abends, während der früher für die Abendandacht vorgesehenen Zeit, draußen eine Katze angebunden. Die Hotelgäste fanden das eine sehr schöne und lebendige Tradition.
Diese Geschichte bringt zum Nachdenken. Sie fragt an: Verstehen wir unsere Traditionen noch? Sind sie im heutigen Leben verankert und haben sie noch auf das heutige Leben Auswirkung?
Sind sie nur noch Traditionshülsen oder stehen echte Haltungen dahinter? Wenn Traditionen wirklich leben sollen, dann leben sie nur, wenn nicht nur eine äußere Form zelebriert wird, die schön anzuschauen ist, wie ein Hauch aus einer anderen verlorenen Welt.
Wenn Tradition noch leben soll, dann muss sie mit Inhalt gefüllt sein!
Im Kolpingwerk gibt es viele Traditionen. In den Kalendern der Kolpingsfamilien haben jährlich immer wiederkehrende Veranstaltungen, Feiern und Feste ihren festen Platz.
Zelebrieren wir an diesen Terminen eine heilige Katze oder wollen wir uns von der Lebenshaltung Kolpings anstecken lassen, der in seiner Zeit versuchte, Evangelisierung und Dienst in der Welt überzeugend zu verbinden.
Unsere Traditionstermine stellen uns die Frage: Geht es uns um schöne Rituale oder lassen wir uns in den Dienst nehmen wie Adolph Kolping. Er hatte immer den Menschen im Blick, der in dieser Welt lebt.
Unsere Tradition ist dann kein hl. Katzenritus, wenn ich mich fragen lasse: Halte ich meinen Glauben noch hoch, wenn er lächerlich gemacht wird? Bekenne ich noch Farbe für meinen Glau-ben, auch wenn es in dieser meiner Kirche furchtbar menschelt, und trage ich durch mein Reden und Tun meinerseits zu einem glaubwürdigen Gesicht meiner Kirche bei?
Unser „Treu Kolping“ ist dann kein hl. Katzenritus, wenn Menschen nachdenken und erkennen, dass Kolpings Gottvertrauen ihm Mut und Zuversicht schenkte. Er gestaltete Zukunft gegen verbreitete Angst.
Unsere Geselligkeit ist dann kein hl. Katzenritus, wenn mit ihr das Miteinander gepflegt und gelebt wird. Wenn Menschen durch dieses Miteinander spüren, dass sie als Getaufte und Gesendete in Gesellschaft und Kirche wirken können, denn das Miteinander ist für Adolph Kolping umfassend.
Das Wort Tradition kommt aus dem Lateinischen vom Verb tradere. Das lateinische Wort tradere hat eine Doppelbedeutung: Es kann heißen: einen wertvollen Schatz weitergeben und überliefern. Es kann aber auch heißen: verraten, ausliefern.
Es liegt in unserer Hand. Ob wir mit unseren Traditionen einen wertvollen Schatz weitergeben oder sie zum hl. Katzenritus verkommen lassen.
Wenn wir immer wieder die Lebenshaltung von Adolph Kolping wach-rufen und dies uns dazu animiert, diese Lebenshaltung in unseren Alltag neu zu übersetzen, dann werden wir keine Katze anbinden, mit der Tradition nicht die Sache Kolpings verraten, sondern den wertvollen Schatz weitergeben und immer wieder neu die Glut entfachen.
Rosalia Walter
Geistliche Leiterin des Kolpingwerkes Deutschland