Alltag - Bewährungsfeld des Christen

In meiner Studienzeit, als es noch keinen Computer und kein Internet gab, war es üblich, einen „Zettelkasten“ anzulegen. Auf Karteikarten trug man Zitate und Stichworte und Verweise auf Bücher ein. Aus diesem „Schatz“ konnte man dann schöpfen. Ich habe neulich meinen Zettelkasten durchgesehen und einige Texte gefunden, die ich anschließend gerne weitergeben möchte. Man kann sie unter dem Stichwort Nächstenliebe konkret stellen.

Der erste Text wird Leo Tolstoi zugeschrieben. Er findet sich in veränderter Form auch als Wort von Meister Eckhart zum Abschluss der Martinsandacht im Gotteslob Nr. 934. Es ist ein einprägsamer Merksatz: „Die wichtigste Zeit ist der Augenblick; der wichtigste Mensch ist der, mit dem ich gerade zu tun habe; die wichtigste Handlung ist die Tat der Liebe, die ich ihm erweisen kann. “Die nachfolgende Legende trägt die Überschrift: „Die Predigt“. Sie macht deutlich, dass das Christsein sich im Alltag bewähren muss. „Franz von Assisi schlug eines Tages einem jungen Mönch vor, sie wollten in die Stadt gehen und dort den Leuten predigen. So machten sie sich auf den Weg nach Assisi, und sie gingen über die Straßen und über den Marktplatz und unterhielten sich dabei über ihre geistlichen Erfahrungen und Erkenntnisse. Erst als sie wieder auf dem Weg nach Hause waren, rief der junge Mönch erschrocken aus: „Aber Vater, wir haben vergessen, den Leuten zu predigen!“ Franz von Assisi legte lächelnd der Hand auf die Schulter des jungen Mannes. „Wir haben die ganze Zeit nichts anderes getan“, antwortete er. „Wir haben beobachtet, und Teile unseres Gesprächs wurden mitgehört. Unsere Gesichter und unser Verhalten wurden gesehen. So haben wir gepredigt.“ Dann fügte er hinzu: „Merke dir, es hat keinen Sinn, zu gehen, um zu predigen, wenn wir nicht beim Gehen predigen.“

Albert Schweitzer sagte einmal unter der Überschrift „Ein Nebenamt“ zur Bedeutung der kleinen Dienste, die wir unseren Mitmenschen erweisen können: „Schafft euch ein Nebenamt, ein unscheinbares, womöglich ein geheimes Nebenamt! Tut die Augen auf und sucht, wo ein Mensch ein bisschen Zeit, ein bisschen Teilnahme, ein bisschen Gesellschaft, ein bisschen Fürsorge braucht. Vielleicht ist es ein Einsamer, ein Verbitterter, ein Kranker, ein Ungeschickter, dem du etwas sein kannst. Vielleicht ist es ein Greis, vielleicht ein Kind. Wer kann die Verwendungen alle aufzählen . . . Darum suche, ob sich nicht eine Anlage für dein Menschentum findet. Lass dich nicht abschrecken, wenn du warten oder experimentieren musst. Auch auf Enttäuschungen sei gefasst. Aber lass dir ein Nebenamt, in dem du dich als Mensch an Menschen ausgibst, nicht entgehen. Es ist dir eins bestimmt, wenn du nur richtig willst.“

Pfarrer i. R. Msgr. Franz Scheffold